384Section IV.A. Bluhm.
Beweisender ist das Wachstum einzelner Operationsarten. Um bei starkem
Missverhältnis zwischen mütterlichem Becken und kindlichem Schädel die
Anbohrung {Perforation) oder Zerstückelung des Kindes (Embryotomie) zu
vermeiden, wird häufig vor dem normalen Schwangerschaftsende d.h. in
einer Zeit, in welcher das Kind zwar lebensfähig ist, sein Schädel aber noch
nicht den vollen Umfang erreicht hat, die sog. künstliche Frühgeburt
eingeleitet. Künstliche Frühgeburt einerseits und Perforation und
Embryotomie andererseits sind also zwei Operationsarten, welche sich
gegenseitig ausschliessen. Steigt die Zahl der Frühgeburten, so sollte
die Zahl der Perforationen und Embryotomieen fallen. Steigen beide,
so deutet das mit Notwendigkeit auf eine Zunahme der Gebärunfähig
keit. Letzteres hat nun im Grossherzogtum Baden tatsächlich stattge
funden. Die künstlichen Frühgeburten haben sich seit 1871-79
verachtfacht, die Perforation verdreifacht und die Embryotomie ver
doppelt; dabei ist die Zahl der Kaiserschnitte, welche zumeist ja auch die
Perforationen und Embryotomieen vermeiden sollen, um das neunfache
gewachsen. Die Verschlechterung der Gebärfähigkeit der Badenserinnen
kann aber keine sehr grosse gewesen sein; denn die fehlerhaften Kindeslagen,
welche gleichfalls der Ausdruck eines pathologischen mütterlichen
Gebärapparates (insbesondere des Beckens) sind, haben mit Ausnahme der
Querlagen, die etwas im Zunehmen begriffen sind, eher, ab- als zugenommen.
Voraussichtlich wird sich aber das Bild im Laufe der nächsten Jahrzehnte
ändern; denn erst dann kommt die Mehrzahl der Töchter jener
gebäruntüchtigen Frauen zur Entbindung, denen die Fortschritte der
operativen Technik das Gebären lebender Kinder und damit die erbliche
Uebertragung ihrer Unfähigkeit ermöglicht haben.
Deutlicher als die Badener Zahlen sprechen die Hamburger für eine
zunehmende Gebäruntüchtigkeit. Trotzdem die Fortschritte der opera
tiven Technik die Prognose für Mutter und Kind im allgemeinen von
Jahr zu Jahr günstiger gestalten, nimmt in Hamburg seit einiger Zeit die
Sterblichkeit der Mütter bei den operativen Geburten zu. In 100 der
Operation ist sie von 3*30% im Jahrfünft 1895/99 auf 4.80% in 1900/04 und
5.21% in 1905/09 gesitegen. Im Verhältnis zur Zahl der Niederkünfte
überhaupt hat sie schon seit 1885/89 kontinuierlich von Jahrfünft
zu Jahrfünft zugenommen. Die kindlichen Todesfälle haben in 100 der
Operationen zwar abgenommen, in 100 der Geborenen überhaupt sind aber
auch sie seit 1885/89 kontinuierlich gestiegen. In 1885/89 betrugen sie
io'*7o°/00 der Geborenen, 1905/09, 1^65°/00. Die Operations frequenz ist im
gleichen Zeitraum von 4.74% der Niederkünfte auf 7.49% gestiegen. Aus
diesen Zahlen geht hervor, dass in Hamburg die Fortschritte der
Geburtshilfe schon nicht mehr mit der Verschlechterung der Gebär fähigkeit
Schritt halten und deren üble Folgen ausgleichen können. Sie zeigen
aufs deutlichste die Gefahr, welche der Rasse aus der durch die vermehrte
Geburtshilfe bewirkten Einschränkung der Auslese erwächst.